Zitat von Karina321 im Beitrag #15Ich habe Angst davor, dass es irgendwann Druck in Richtung selbstbestimmtes Sterben gibt - also dass man "endlich soll". In den Niederlanden gibt es das Problem schon.
Der Einwand ist gerechtfertigt, denn alles hat immer zwei Seiten. Man muss abwägen, wo die Vorteile überwiegen, und die liegen für mich beim selbstbestimmtem Sterben.
Ne prenez pas la vie au sérieux, de toute façon vous n'en sortirez pas vivant Bernard de Fontenelle
Zitat von Naomi_Nagata im Beitrag #21 Im Moment haben wir aber doch das Gegenteil davon. Ich bin im Übrigen der Meinung, dass es nicht unbedingt so viel Mehrwert hat, über die „biologische“ Lebensspanne hinaus weiterzuleben. Es gibt ja so Grafiken, die anzeigen, wie diese sich entwickelt hat - über viele Jahrhunderte hinweg war einfach mit 40 „Schluss“, und der Kipp-Punkt kam dann zwischen dem 19. und dem 20. Jshrhundert. Aber ist das wirklich ein Vorteil? Ich habe da so meine Zweifel, denn die großen Grusel-Faktoren wie „Krebs“ und „Demenz“ sind ja klassische Alters-Phänomene.
Diese Meinung kannst du ja für dich vertreten. Dennoch kann auch jemand sagen - so wie ich - dass auch ein Leben mit Ü60 durchaus Spaß macht, ich gerne lebe und keinen, aber auch gar keinen Grund sehe, jetzt von dieser Erde zu gehen. Auch ein Leben mit Krankheiten oder Behinderungen kann ein Mensch als "lebenswert" für sich empfinden. Und ja, ich kenne die Tendenzen in Holland und sehe sie auch sehr kritisch.
Ich verstehe gerade nicht die Unterscheidung. Auch wenn ich mit Hilfe eines Arztes zu Tode komme, ist es doch Selbsttötung. Ich habe für mich entschieden, dass ich nicht mehr weiterleben möchte. Dafür braucht es sicher Mut - oder die Verzweiflung, dass es schlimmer wäre weiterzuleben als zu gehen. Finde ich für mich schwierig jetzt zu entscheiden. Und mit Demenz wird es ja noch schwieriger. Ist man noch Herr seiner Sinne? Kann man es zulassen, dass sich dieser Mensch mit Hilfe anderer aus dem Leben verabschiedet? Denn eins muss man sagen - krank im Sinne von körperlicher Gebrechlichkeit - war mein Vater auch im hohen Alter nicht.
Zitat von Roxy im Beitrag #25Ich würde mich niemals nicht auf ein Stück Papier verlassen. Mein Vater wurde - und das ist keine 10 Jahre her - trotz unmissverständlicher Formulierung in seiner PV zweimal im Krankenhaus reanimiert und musste danach weiterleben, obwohl es nur noch sinnlose Qual war - für ihn und für uns.
Das kenne ich aber mittlerweile anders. Von vier Senioren, die im hohen Alter ins Krankenhaus kamen, wurde in drei Fällen von Seiten der Ärzte angefragt, ob man für seinen Angehörigen eine lebensverlängernde Behandlung wünscht und ob es eventuell eine Patientenverfügung gibt.
Im Falle meiner Mutter war die Patientenverfügung aus dem Justizministerium Bayern absolut ausreichend.
Link editiert
Dem Geld darf man nicht nachlaufen, man muss ihm entgegenkommen. (Aristoteles Onassis)
Zitat von Hattima im Beitrag #16Aber vielleicht ist unser Gesundheitssystem dann soweit, dass man froh ist, wenn die Alte stirbt, damit ein Bett frei wird. Noch ist es wohl finanziell lohnend, alte Leute unbedingt am Leben zu halten. ?
Das ist zwar letztlich eine zynische Sichtweise, aber ich teile sie ... Irgendwann ist es so weit, und unser Gesundheitssystem kippt. Die schiere Anzahl der zu Pflegenden wird nicht mehr zu schaffen sein, weder finanziell noch durch Pflegekräfte. Spätestens dann wird das Thema Sterbehilfe, das jetzt noch wegen unserer verfluchten Nazi-Vergangenheit in Deutschland ein (zu) heißes Eisen ist, in Schwung kommen. In 10 Jahren? Früher kaum, denke ich.
Ich sehe die ganze Problematik noch nicht für so mich. Die Situation mit meinem Mann steht einfach im Vordergrund. Ich tue alles dafür, dass seine letzten Jahre lebenswert sind, und sollte es einmal für ihn unerträglich werden, fahre ich mit ihm notfalls in die Schweiz, das haben wir so ausgemacht.
Über mich denke ich anschließend nach.
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Irgendwann bin ich vielleicht soweit, dass ich sage, jetzt will ich und kann ich nicht mehr, jetzt reicht es. Aber im Moment kann ich mir das nicht vorstellen und deshalb werde ich jetzt auch keine Vereinbarung treffen.
Zitat von Nocturna im Beitrag #28Von vier Senioren, die im hohen Alter ins Krankenhaus kamen, wurde in drei Fällen von Seiten der Ärzte angefragt, ob man für seinen Angehörigen eine lebensverlängernde Behandlung wünscht und ob es eventuell eine Patientenverfügung gibt.
Ich habe vor Jahren Ähnliches erlebt. Mein Mann lag nach zwei Notoperationen auf der Intensivstation, und ein Arzt fragte mich, ob im Falle einer drohenden Lungenentzündung lebensverlängernde Mittel angewendet werden sollten. Wie denn seine Einstellung zu einer Behinderung, die er mit Sicherheit davontragen würde, wäre? Ich sagte, es solle natürlich alles Machbare gemacht werden, was denn sonst? Erst später dämmerte mir der Sinn seiner Worte! Da war mein Mann 72, es ist 11 Jahre her.
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Zitat von Wendy im Beitrag #31Da war mein Mann 72, es ist 11 Jahre her.
Uff, 72 Jahre ist natürlich schon eine Hausnummer. Da sind einige erst wenige Jahre im Ruhestand.
Es ist immer eine Gratwanderung. Meine Schwiegermutter hatte eine sehr schwere Darm-OP. Der Zustand war so labil, dass die OP abgebrochen werden musste und sie zwei Tage unter Narkose gehalten wurde, bis der Eingriff beendet werden konnte. Da wurde auch nach einer Patientenverfügung gefragt. Meine Schwägerin, die zur Löwin mutiert, wenn es um die Gesundheit ihrer Mutter ging, hat den Arzt zusammengefaltet, was er sich einbilde usw. Die alte Dame, damals knapp 90 Jahre, hat sich tatsächlich wieder erholt und hatte noch zwei schöne Jahre mit ihren geliebten Enkeln. Tja, was soll ich sagen? Ich hätte in diesem Fall wohl die Patienenverfügung gezückt und mich eines Mordes (?) schuldig gemacht. Ich habe nicht mehr an eine lebenswerte Genesung geglaubt.
Dem Geld darf man nicht nachlaufen, man muss ihm entgegenkommen. (Aristoteles Onassis)
Zitat von Nocturna im Beitrag #32 Die alte Dame, damals knapp 90 Jahre, hat sich tatsächlich wieder erholt und hatte noch zwei schöne Jahre mit ihren geliebten Enkeln. Tja, was soll ich sagen? Ich hätte in diesem Fall wohl die Patienenverfügung gezückt und mich eines Mordes (?) schuldig gemacht. Ich habe nicht mehr an eine lebenswerte Genesung geglaubt.
Gerde im hohen Alter sind solche Prognosen wohl auch sehr schwierig. Mord ist es in meinen Augen allerdings nicht. Durch die Patientenverfügung lege ich ja die Entscheidung, die ich nicht mehr treffen kann, in die Hände von jemandem, dem ich vertraue und der dann in meinem Sinne entscheiden muss. Das IST auch eine Bürde. Und wenn du anders als deine Schwägerin gehandelt hättest, hättest du ja auch nie gewusst, dass es anders ausgehen würde. Insofern hätte es auch keine Erkenntnis gegeben.
Wenn ich das so lese, bin ich wirklich froh, dass meine Mutter in den letzten Tagen auf der Palliativstation des KH so gut versorgt wurde. Ich hatte es ja in dem anderen Strang schon geschrieben, sie wurde nach einem Sturz eingeliefert, damit ein grosses Hämatom entfernt werden konnte. Da gabs allerdings Komplikationen, nach 4 Wochen hatte sich ihr Zustand extrem verschlechtert und als man den neuen Symptomen nachging, fand man einen stillen Herzinfarkt und ein Glioblastoma.
Ich bin sofort rübergeflogen als sich das rausstellte. Meine Patentochter und ich haben erst 2 Tage und Nächte mit ihr auf der Beobachtungsstation verbracht und dann 3 Nächte und 2 Tage auf der Palliativstation. Ihre Patientenverfügung war 2 Din A 4 Seiten lang, also nicht zu detailliert, aber ausreichend - u.a. keine OP bei schwerem Krebs und keine künstliche Ernährung, Wasser nur zum Befeuchten und Schmerzmittel. Die Ärzte haben sich sehr einfühlsam mit mir unterhalten, sie wollten wissen, wie meine Mutter gelebt hat, was sie für ein Typ war, wie sie zu Krankheiten und Tod stand. Zum Glück war das bei uns nie Tabu, ich war mir also sehr sicher, was sie zu der Situation sagen würde.
Es gab einen Palliativarzt und genug Palliativschwestern, es waren immer 3 auf Station, für (ich glaube) 6 Betten. Wir Angehörigen sind mit Essen versorgt worden und es wurde uns ein Extra Bett ins Zimmer gestellt, so dass wir bei ihr schlafen konnten (ok, ich glaub, da war ein bisschen mein Ausländerstatus mit im Spiel, ich weiss nicht, ob das so regelmässig passiert). Sie hat genug Morphium bekommen, so dass sie keine grossen Schmerzen hatte, nur eine Nacht war etwas anstrengender. Sie ist ganz friedlich weggedämmert. Diese Palliativstation war ein Segen, so ruhig und angenehm.
So könnte ich es mir auch für mich vorstellen. Ich weiss aber auch, dass das nicht immer die Regel ist. Es gibt noch zuwenig Pallativstationen oder Hospize. Hier in Australien und so wie ich das mitbekomme, wohl auch in Deutschland. Ich hoffe da echt auf den Druck der Babyboomergeneration.
Mein Vater starb leider unwürdig, was aber an der ersten Corona-Zeit und einem damit völlig überforderten Pflegeheim- und KH-Betrieb lag. Ich hoffe stark, dass man aus der Zeit gelernt hat und man für die Zukunft da besser aufgestellt ist.
Was bei mir anders sein wird - ich hab hier keine Familie. Zwar einen sehr engen Freundeskreis, aber wer weiss, wie sich das über Jahre entwickelt. Da mache ich mir aber nicht viele Gedanken drum, was kommt, das kommt. Und meist anders als man es sich ausmalt. Aber ich muss auch unbedingt meine PV neu aufsetzen.
Passive Sterbehilfe gibt es hier in den meisten Bundesstaaten, aber soweit ich weiss unter der Vorgabe, dass der Patient nur noch max 6 Monate zu leben hat. Ich denke aber, dass sich da noch was tun wird. Ich stehe dahinter, ich hab diverse Interviews und Reportagen gesehen, Berichte gelesen, aus der Schweiz und aus Kanada und die jeweiligen Patienten waren beeindruckend stark und wussten genau, was sie taten. Es gibt da eine sehr gute Doku, "Laura's Choice", sie ist vor einigen Jahren von Australien aus in die Schweiz gereist, um dort zu sterben, und sie hat mich sehr beeindruckt. Möglicherweise wird die Doku irgendwo gestreamt, sie lief damals hier im öffentlichen TV.
Menschenwürdig sterben heisst für mich - sofern es nicht so einfach geht wie bei meiner Urgrossmutter, die sich mit Ende 90 ins Bett gelegt hat und nach ein paar Tagen einfach nicht mehr aufgewacht ist - keine Schmerzen haben müssen, in Ruhe gelassen werden und nicht allein sein. Es muss niemand meine Hand halten, aber in der Nähe sein. Was dann danach passiert, bekomm ich ja nicht mehr mit.
Don't worry about the World coming to an end. It's already tomorrow in Australia. -Charles M Schulz
[....] - keine Schmerzen haben müssen, in Ruhe gelassen werden und nicht allein sein. Es muss niemand meine Hand halten, aber in der Nähe sein.
Dazu noch ein Nachtrag - ich halte es wirklich für sehr wichtig, mit der Familie oder den Freunden über wirklich Alles zu reden. Auch, dass es dann gut ist, wenn meinen Wünschen entsprochen wird. Wenn es absehbar ist, dass ich sterben werde, dass man mich dann auch lässt. Ich hatte in den Tagen bei meiner Mutter einige lange und sehr gute Gespräche mit den Palliativschwestern. Eine erzählte mir, sie wäre mal in einem Fall sehr sauer gewesen, als eine Angehörige die Patientin, die schon mitten im Sterbeprozess war, angefleht hatte, nicht zu sterben. Was den Prozess wohl sehr behindert hat.
Auch das gehört für mich zu würdigem Sterben, dass man sich nicht noch mit den Problemen der Angehörigen auseinandersetzen muss.
Don't worry about the World coming to an end. It's already tomorrow in Australia. -Charles M Schulz
Zitat von Nocturna im Beitrag #32 Es ist immer eine Gratwanderung. Meine Schwiegermutter hatte eine sehr schwere Darm-OP. Der Zustand war so labil, dass die OP abgebrochen werden musste und sie zwei Tage unter Narkose gehalten wurde, bis der Eingriff beendet werden konnte. Da wurde auch nach einer Patientenverfügung gefragt. Meine Schwägerin, die zur Löwin mutiert, wenn es um die Gesundheit ihrer Mutter ging, hat den Arzt zusammengefaltet, was er sich einbilde usw.
Dabei war die Frage des Arztes doch berechtigt und seriös. Zudem muss in einer PV ja nicht stehen, dass man nicht mehr dies und nicht mehr jenes möchte, sondern es könnte auch darin stehen, dass man alle medizinischen Möglichkeiten ausschöpfen möchte, um möglichst lang zu leben.
Zitat von Nocturna im Beitrag #32 Ich hätte in diesem Fall wohl die Patienenverfügung gezückt und mich eines Mordes (?) schuldig gemacht. Ich habe nicht mehr an eine lebenswerte Genesung geglaubt.
Nein, Du hättest Dich keineswegs schuldig gemacht. Du hättest dasfür gesorgt, dass Deine Schwiegermutter medizinisch so versorgt worden wäre, wie sie sich das zum Zeitpunkt des Aufsetzen der PV überlegt und niedergeschrieben hatte.
Eine PV ist nicht dafür da, dass sie im Falle des Falles von Angehörigen zurückgehalten wird.
Nicht umsonst fragen die Kliniken bei geplanten Operationen im Vorfeld schon danach und nehmen sie zu den Unterlagen.
Zitat von Nocturna im Beitrag #32Die alte Dame, damals knapp 90 Jahre, hat sich tatsächlich wieder erholt und hatte noch zwei schöne Jahre mit ihren geliebten Enkeln. Tja, was soll ich sagen? Ich hätte in diesem Fall wohl die Patienenverfügung gezückt und mich eines Mordes (?) schuldig gemacht.
Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder, Nocturna?
Du weißt sicher, wie Mord definiert ist. Nein, das wäre noch nicht einmal eine fahrlässige Tötung gewesen. Die Patientenverfügung lag vor, und nach der hättest du nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt.
ZitatIch habe nicht mehr an eine lebenswerte Genesung geglaubt.
Und genau das ist die Schwierigkeit, das können eben auch Ärzte in vielen Fällen vorab nicht mit letzter Sicherheit beurteilen, wie das Leben eines alten Menschen nach einem schweren Eingriff/ einer Reanimation/ einer Therapie mit intensivmedizinischen Maßnahmen aussieht (um den Begriff "lebenswert" mal zu vermeiden).
Zitat von Puls im Beitrag #36Dabei war die Frage des Arztes doch berechtigt und seriös. Zudem muss in einer PV ja nicht stehen, dass man nicht mehr dies und nicht mehr jenes möchte, sondern es könnte auch darin stehen, dass man alle medizinischen Möglichkeiten ausschöpfen möchte, um möglichst lang zu leben.
Natürlich war sie berechtigt und vollkommen richtig. Übrigens auch im Fall von Wendys Mann. Der Arzt hat das getan, von dem immer wieder mal behauptet wird, hier im Forum und auch im realen Leben, dass Ärzte es nicht täten, sondern stattdessen therapieren würden bis zum bitteren Ende.
Sehr viele Ärzte stellen heutzutage diese Fragen, aber sie tun es manchmal auch ein wenig verklausuliert, sodass nicht jeder Laie gleich versteht, was gemeint ist.
Zitat von skribifax im Beitrag #33Durch die Patientenverfügung lege ich ja die Entscheidung, die ich nicht mehr treffen kann, in die Hände von jemandem, dem ich vertraue und der dann in meinem Sinne entscheiden muss. Das IST auch eine Bürde.
Definitiv. Und es ist nicht immer eindeutig, was richtig, also im Sinne der Patientenverfügung und des Willens des Betroffenen, wäre. Weil natürlich eine PV nicht alle Eventualitäten berücksichtigen kann, die sich ergeben könnten, sonst wäre sie 20 Seiten lang und kein Mensch würde sie mehr lesen, schon gar nicht im Krankenhaus unter Zeitdruck.
Zur Entlastung für Angehörige kann man aber sagen: Man trifft ja eine solche Entscheidung nie ganz allein. Es gibt Ärzte, die einen beraten können, die Chancen und Risiken eines Eingriffs besser absehen können als man selbst als Laie. Die klassische Frage: Wie würden Sie entscheiden, wenn es Ihre Mutter wäre? kann auch hilfreich sein (kann, muss nicht, je nachdem, an was für eine Sorte Arzt man gerät).
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Weil ihr hier vom Alter gesprochen habt: Das Alter ist natürlich auch ein Faktor, aber die Frage "weitertherapieren ja/nein" stellt sich ja auch bei Jüngeren.
Ich habe kürzlich auf Station das Sterben eines Anfang 40jährigen begleitet, das war richtig heftig und eine Herausforderung für meine Kolleg*innen und mich. Nicht in erster Linie wegen des jungen Alters des Mannes (das aber auch), sondern weil er konsequent eine Verlegung auf die Intensivstation verweigerte, die seine einzige Chance gewesen wäre. Er war im kritischen Stadium einer chronischen Erkrankung, die er in den letzten Jahren nicht mehr hatte therapieren lassen wegen psychischer Probleme (Krebs und Suizid in der engsten Familie, Verlust des Lebenswillens). Als er dann Atemnot bekam, sind wir mit Morphium eingestiegen, er brauchte eine hohe Dosis, ich glaube, da gab es auch eine Suchtvorgeschichte. Es dauerte lange, er war eben noch jung, ich war froh, seinen Tod nicht mehr miterlebt zu haben.
Ich habe schon oft darüber nachgedacht, ob ich das könnte - dem Sterbewilligen den Giftmix reichen oder die Rollenklemme am Infusionssystem aufdrehen. Käme vielleicht auf den Fall an.
Zitat von frangipani im Beitrag #34und es wurde uns ein Extra Bett ins Zimmer gestellt, so dass wir bei ihr schlafen konnten (ok, ich glaub, da war ein bisschen mein Ausländerstatus mit im Spiel, ich weiss nicht, ob das so regelmässig passiert).
Auf Palliativstationen sicher, auf meiner ganz normalen Normalstation bieten wir das Angehörigen auch an, wenn absehbar ist, dass ein Patient auf seinen letzten Weg geht.
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Hattima, ich finde Teile des Artikels nicht seriös. Zitat: Trotz Operation wurde nichts besser. Der alte Mann wollte nach Hause, dämmerte vor sich hin, ein Krankenhauskeim kam hinzu. Der Oberarzt ordnete eine weitere Operation an. "Warum das denn, mein Vater stirbt doch gerade?", fragte M.. Der Professor zuckte mit den Schultern. Nach Hause kam der Vater nicht mehr.
Und warum hat der Sohn nicht dafür gesorgt, dass der alte Mann nach Hause kommt, wenn es doch dessen Wunsch entsprach? Kein Arzt hat das Recht, eine Operation "anzuordnen" das ist Unsinn. Entweder der Patient selbst oder sein Sohn müssen schriftlich in die Operation eingewilligt haben. Eine OP ohne Einwilligung ist nur gestattet, wenn a) der Patient nicht einwilligungsfähig ist und b) kein Angehöriger erreichbar ist und c) eine vitale Indikation besteht. Selbst wenn in diesem Fall a) zutraf und c) so interpretiert wurde, so war doch b) nicht gegeben.
Solche dahingeschlamperten Zeitungsartikel ärgern mich. Ja, dass der Sohn erschüttert war ob des Schicksal seines Vaters ist ja verständlich. Den trifft keine Schuld. Aber hier ist ein Journalist m.M.n. seiner Sorgfaltspflicht nicht gerecht geworden.
So etwas lesen dann die Stern-Leser und fühlen sich bestätigt in ihrer Annahme: Im Krankenhaus bin ich ausgeliefert, es passiert, was der Arzt sagt, egal ob ich das will oder nicht.
Das hier: Oder es gibt keine Patientenverfügung: Angehörige sind unsicher, was zu tun ist, wollen keinen Fehler machen, der Wunsch des Patienten verhallt ungehört. trifft schon eher zu.
Oft trauen sich Angehörige eines Todkranken die Begleitung im häuslichen Umfeld auch einfach nicht zu, was zu respektieren ist. Oder es gibt keine nahen Angehörigen, oder sie leben weit entfernt/ können nicht von heute auf morgen frei nehmen. Dass es einen Rechtsanspruch auf SAPV gibt, ist ein Segen, aber weder SAPV noch Pflegedienst, falls es einen gibt, sind rund um die Uhr vor Ort. Wenn es da nicht mindestens einen Ehepartner/ Sohn/ Tochter/ gute Freundin gibt, wird es schwierig mit dem Sterben zuhause.
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Definitiv. Der Unterschied zwischen Rettungswagen und Palliativnotdienst: Die Insassen des Rettungswagens sind auf „Überleben-sichern“ bis ins Krankenhaus trainiert - Ein Palliativnotdienst kennt normalerweise die Situation und kümmert sich adäquat um Schmerzlosigkeit und“nicht leiden“.
Da her wird ein Rettungswagenteam, dem eben KEINE PV unter die Nase gehalten zu WIRD „Reanimieren und mitnehmen“
Ich bin nicht „im Spektrum“. Aber mein EQ ist tatsächlich etwas niedrig.
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Zitat von Analuisa im Beitrag #39 Und warum hat der Sohn nicht dafür gesorgt, dass der alte Mann nach Hause kommt, wenn es doch dessen Wunsch entsprach? Kein Arzt hat das Recht, eine Operation "anzuordnen" das ist Unsinn.
Das ist doch gang und gäbe - wenn der Patient mal da ist, werden Dinge gemacht, die sich einerseits abrechnen lassen (das Krankenhaus muss Geld verdienen) und andererseits will ja auch keiner so wirklich den Angehörigen sagen, dass das eigentlich alles für die Füße ist. Bei meiner Großmutter war das ganz ähnlich - so richtig wollte sie keine schwere Krebs-OP mehr, aber dann haben ihr die Ärzte ein bisschen zugeredet, und schwubsdiwubs wurde da ein großer Eingriff draus mit desaströsen Folgen - sie siechte an den OP-Folgen noch so zwei Jahre dahin, ganz furchtbare Geschichte.
Du darfst ja auch nicht vergessen, dass ganz viele Angehörige null komma null medizinische Kenntnisse haben und den "Halbgöttern in weiß" auch irgendwie ausgeliefert sind. Und wenn die sagen: "wir bereiten jetzt mal die OP vor", dann wird es genügend Angehörige geben, die das als "gesetzt" sehen.
Ich habe eine gewisse Sympathie für das britische System, das sagt: "ab dem Alter x gibt's Behandlung a, b und c einfach nicht mehr.". Irgendwann ist doch auch mal gut.
„Running is a mental sport, and we are all insane.“
"Everything happens for a reason. Sometimes the reason ist that you're stupid."
Zitat von caramia_2.0 im Beitrag #30Irgendwann bin ich vielleicht soweit, dass ich sage, jetzt will ich und kann ich nicht mehr, jetzt reicht es. Aber im Moment kann ich mir das nicht vorstellen und deshalb werde ich jetzt auch keine Vereinbarung treffen.
Darüber habe ich gerade diese Tage nachgedacht. Ich habe an Pfingsten meine 96 jährige Tante besucht, die im betreuten Wohnen – recht schön – lebt. Sie war/ist eher eine einfache, pragmatische Frau. Sie war ihr Leben lang gesund und sportlich. Sieht selbst jetzt noch erstaunlich gut, im Sinne von vital aus, auch wenn sie körperlich nun klapprig wird.
Sie ist seit einigen Wochen auf einem Auge blind, das andere sieht noch ziemlich gut und sie hört schlecht. Sie kann an ihrem Gehwagen noch herumlaufen, bereitet sich das Abendessen selbst zu. Hat keine Schmerzen oder sonstige Erkrankungen. Bisher zeitlebens nicht. Sie bekommt noch regelmäßig Besuch und hat Sozialkontakte.
Sie möchte nicht mehr leben, seit ca. 2 Jahren sagt sie das immer wieder. Es sei genug, jeder Tag immer das Gleiche. Dabei ist sie nicht depressiv, geistig absolut fit, interessiert sich dafür, was in der Welt passiert, liest.
Ich erzählte 2,3 Leuten davon, also das sie gerne sterben würde und bei allen kam sofort die eher stereotype Antwort: „Naja, kann man ja auch verstehen.“
Ich gestehe, ich kann es gut akzeptieren – aber eben nicht wirklich verstehen, denn ich war ja noch nie in einer solchen Situation und habe keinerlei Ahnung, wie ich dazu mit 96 empfinden würde. Also wie gesagt, mit einem Leben mit noch viel Eigenregie, ohne Schnerzen, nicht bettlägerig, geistig fit. Werde ich dann auch nicht mehr leben wollen?
Eine andere Tante sagte mir mal, da war sie Ende 80: „Da liegst du nachts im Bett und weißt, du wirst bald gehen und du fühlst dich ja auch schwach… und doch, Syri, dann hängt man doch so sehr am Leben und will nicht gehen…“
Sie war die Schwester der anderen Tante und starb dann eines Tages plötzlich und unerwartet bei einem Sturz im Bad. Ihr Mann wurde 104. Er sagte eines Abends, so berichtete sie es, zu seiner Pflegerin: “Auf Wiedersehen!“ und starb die Nacht friedlich im Schlaf.
Salopp gesagt: Man steckt nicht drin! Ich habe immer noch genug damit zu tun, mein Leben endlich zu genießen, was ich seit einigen Jahren deutlich mehr tue als früher – und spüre, für mich ist es noch nicht an der Zeit, mich mit meinem Sterben intensiv zu befassen. Nicht im Sinne von Verdrängen. Angst habe ich vor nichts später. Regeln werde ich alles bzw.habe ich, also was so rechtliche Dinge, Verfügungen angeht.
Der Rest kommt sowieso.
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"Paradise has never been about places. It exists in moments. In connection. In flashes across time."
Syriana, bei den sehr betagten (90+) spielt oft mit hinein, dass all ihre Freunde und Bekannten in ihrer Altersklasse schon verstorben sind und sie sich "übrig" fühlen. Und "immer das Gleiche" kann ich schon ein wenig verstehen - es gibt ja doch recht wenig Abwechslung oder gar richtige Highlights für viele in diesem Alter - wenn ich z.B. mit Tante/Onkel, beide Ü82 spreche, dann dreht es sich zu 95% um Erlebtes vor vielen Jahren. Keine Ahnung, wie es mir gehen wird/würde ... vielleicht ist es einem irgendwann einfach genug ... (?)
Zitat von Hydra im Beitrag #24@Lufti: Deshalb ist es wichtig, keine Vordruck-Patientenverfügung zu unterschreiben. Gerade die Punkte Schmerzlinderung und Flüssigkeit waren mir bei meiner PV auch wichtig.
Also, ich habe zunächst „auf die Schnelle“ die WiSo-Mappe benutzt. Und da muß ich sagen - wer nach der Lektüre de Infos dazu noch sinnfreie Kreuze setzt…
Da wird solches gut erklärt.
Ich bin nicht „im Spektrum“. Aber mein EQ ist tatsächlich etwas niedrig.
Zitat von Naomi_Nagata im Beitrag #43 Ich habe eine gewisse Sympathie für das britische System, das sagt: "ab dem Alter x gibt's Behandlung a, b und c einfach nicht mehr.". Irgendwann ist doch auch mal gut.
Ist ja ok, wenn du ein achso behindertes Leben - das bei dir ja offenbar bei 20% unter der Kapazität einer Leistungssportlerin liegt - für dich ausschließt.
Aber bitte gestatte auch Behinderten und Alten, ihr Leben zu wollen, wenn sie es wollen. "Irgendwann ist doch auch mal gut" / schluss mit lustitsch oder was da ähnlich gequasselt wird, ist einfach herabwürdigend. Duuuuuu wärest ja nie-so-eine ... das schließt du ja aus. Also enthalte dich auch einer Bewertung der anderen!
Was ist klein, grün und dreieckig? - Ein kleines grünes Dreieck! (copyright: mein Neffe als Kleines)
Zitat von Naomi_Nagata im Beitrag #43Bei meiner Großmutter war das ganz ähnlich - so richtig wollte sie keine schwere Krebs-OP mehr, aber dann haben ihr die Ärzte ein bisschen zugeredet,
Das mag bei deiner Großmutter so gewesen sein.
Ich mache ja auch, wie du nachlesen kannst, nicht den alten Menn für die Entscheidung zur OP verantwortlich - der war, jedenfalls der Schilderung zufolge, wohl gar nicht mehr entscheidungsfähig -, sondern den Sohn, der dabei war, und dem Journalisten werfe ich vor, dass er die Darstellung des Sohnes ungeprüft übernommen hat. Der Sohn hätte den Vater auch mitnehmen können, um ihm seinen letzten Wunsch zu erfüllen, notfalls gegen ärztlichen Rat. Ein Krankenhaus ist kein Gefängnis, niemand darf gegen seinen Willen dabehalten werden.
Und dass du ein Leben mit Behinderungen und körperlichen Einschränkungen als nicht mehr lebenswert betrachtest, haben wir wohl inzwischen alle verstanden. Es wäre schön, wenn du respektieren könntest, dass andere Menschen das anders für sich entscheiden.
************************************ Moderatorin in der Pandemie und der Politik, im Familien- und im Trauerforum, bei den Angehörigen, im Glücklicher leben, in der Kindergesundheit und bei den Krebserkrankungen
Zitat von Naomi_Nagata im Beitrag #43 Ich habe eine gewisse Sympathie für das britische System, das sagt: "ab dem Alter x gibt's Behandlung a, b und c einfach nicht mehr.". Irgendwann ist doch auch mal gut.
Ist ja ok, wenn du ein achso behindertes Leben - das bei dir ja offenbar bei 20% unter der Kapazität einer Leistungssportlerin liegt - für dich ausschließt.
Aber bitte gestatte auch Behinderten und Alten, ihr Leben zu wollen, wenn sie es wollen. "Irgendwann ist doch auch mal gut" / schluss mit lustitsch oder was da ähnlich gequasselt wird, ist einfach herabwürdigend. Duuuuuu wärest ja nie-so-eine ... das schließt du ja aus. Also enthalte dich auch einer Bewertung der anderen!
Noch mal: in GB bekommst du zB ab dem Alter X zB kein neues Hüftgelenk mehr. Das sind klare Regeln. Dass ich das einen guten und gangbaren Weg finde - die Meinung wird man ja wohl haben dürfen.
„Running is a mental sport, and we are all insane.“
"Everything happens for a reason. Sometimes the reason ist that you're stupid."