... und mit Kunst meine ich alles von Buch bis Tanzstück, von Comic bis Happening, von selber gedrehtem Dokufilm bis zu Bildhauerei - usw. (ist womöglich aus der [Unter-]Forenstruktur nicht ganz ersichtlich und, weiß Gott, eh eine Debatte [Was ist Kunst?] für sich )
Was darf Kunst, was darf sie nicht - sozusagen? Gibt's Grenzen, kann sie zu weit gehen?
Wenn ja: wo und wie definiert ihr das für euch? Wenn nein: warum nicht, eurer Meinung nach?
(Gut, das ist dann auf manche Weise doch mit der obigen Frage verknüpft und vielleicht ergibt sich das eine aus dem anderen.)
Die Problematik ist immer die räumlich bzw. zeitlich kulturelle Abhängigkeit, aus der sich halt eine Relativität ergibt. Kunst ist für mich das, was diese "Box" treffend beschreibt oder darüber, in einem Rahmen, hinaus geht. Für mich, aus meiner Geographie, meiner Zeit heraus, war natürlich bei Otto Muehl (Wienener Aktionismus) Schluss. Im Iran, in Japan, in Saudi-Arabien, aber selbst in den US of A sieht es halt etwas anders aus.
Kunst darf meiner Meinung nach sehr viel, aber nicht alles.
Kunst darf (auch mal nur) schön sein, nur Herz und Seele erfreuen, faszinieren, funktional sein;
Kunst darf (ja soll auch!) die Gesellschaft kritisieren, auf Missstände oder widersinniges Verhalten etc. hinweisen. Kunst darf die Menschen herausfordern, entsetzen, die Finger in Wunden legen, ja sogar darin herumbohren.
Ich finde es schwer, die Grenzen zu definieren, aber ich versuche es:
Kunst darf nicht das Leben und die Gesundheit von Menschen und Tieren gefährden.
Kunst darf nicht nachhaltig-zerstörerisch auf die Psyche von Menschen und Tieren wirken.
Kunst darf nicht einzelne, nicht-öffentliche Personen vorführen bzw. aus ihrer Anonymität holen.
Kunst außerhalb rein ästhetischer Art (Bauwerke, Denkmäler, Bilder, Industriedesign, ...) sollte einem freiwilligen Konsum unterliegen.
Das ist ein erster, spontaner Versuch meinerseits - ich bin gespannt auf andere Beiträge, die meinen Blickwinkel in der Diskussion gern umlenken können.
Ich probiere es mal: Kunst soll inspirieren, sie darf provozieren. Dann stellt sich natürlich die Frage, ab wann man sich wer von einem Kunstwerk inspiriert fühlt oder provoziert oder schlichtweg gelangweilt. Welche Tabus davon jeweils berührt werden, kann von einer kulturell oder individuell verankerten Prägung abhängen. Das meinte wohl Addia oben. In jedem Fall denke ich, geht es um die Umsetzung von Stimmungen in eine andere, greifbarere Form.
Zitat von Puls im Beitrag #3Kunst darf nicht nachhaltig-zerstörerisch auf die Psyche von Menschen und Tieren wirken.
gekürzt von mir
Darf ich hier nachfragen? Menschen sind ja unterschiedlich empfindsam und haben unterschiedliche Biografien, die auf die Wahrnehmung von Kunst Einfluss nehmen. Findest du hier bestimmte Themen sollten daher garnicht dargestellt werden (ich denke an Ausstellungen wie "on rape" o.ä.) oder ist das in Ordnung, wenn diese mit eindeutigen Triggerwarnungen versehen werden?
Zitat von Puls im Beitrag #3Kunst darf nicht nachhaltig-zerstörerisch auf die Psyche von Menschen und Tieren wirken.
gekürzt von mir
Darf ich hier nachfragen? Menschen sind ja unterschiedlich empfindsam und haben unterschiedliche Biografien, die auf die Wahrnehmung von Kunst Einfluss nehmen. Findest du hier bestimmte Themen sollten daher garnicht dargestellt werden (ich denke an Ausstellungen wie "on rape" o.ä.) oder ist das in Ordnung, wenn diese mit eindeutigen Triggerwarnungen versehen werden?
Genau beim Punkt Psyche ist die Grenze natürlich schwer zu setzen, da stimme ich Dir völlig zu. Daher auch der Punkt mit der Freiwilligkeit in meinem Beitrag oben - es soll jeder entscheiden können, was er sich zumuten kann und möchte. Über die "on rape" - Ausstellung hatte ich einen Bericht im Fernsehen gesehen. Ich finde es gut, dass es sie gibt. (!) Die Schwelle, etwas nicht zu zeigen, würde ich sehr hoch ansetzen, sonst käme das in meinen Augen einer Bevormundung gleich.
Zitat von Puls im Beitrag #3Kunst außerhalb rein ästhetischer Art (Bauwerke, Denkmäler, Bilder, Industriedesign, ...
sein? Soll die Besichtigung von Bauwerken (insofern nicht praktischer Natur) nicht auch freiwillig sein?
Ja, genau - das soll natürlich auch freiwillig sein, aber...
Viele Bauwerke fallen unter Kunst, ich kann mich ihnen jedoch oft nicht entziehen, weil ich schlichtweg z. B. meinen Weg zur Arbeit dort entlang habe. Ich werde also manche Bauwerke (z. B. ein modernes Rathaus) zwangsläufig (zumindest flüchtig, manchmal auch genauer, wenn ich dort etwas zu erledigen habe) ansehen müssen - und das finde ich auch vertretbar.
Vielleicht wäre es hilfreich, anhand eines Beispiels wie "On Rape" zu diskutieren. Muss ich mir aber noch ansehen. Und letztlich wird vieles in die Frage münden, was Kunst ist bzw. ausmacht.
Zitat von Pasdedeux im Beitrag #9Vielleicht wäre es hilfreich, anhand eines Beispiels wie "On Rape" zu diskutieren. Muss ich mir aber noch ansehen. Und letztlich wird vieles in die Frage münden, was Kunst ist bzw. ausmacht.
Ja, ich denke auch, dass die Diskussion anhand von Beispielen besser möglich ist. Gerne "in rape", gerne auch weitere, wenn jemand noch welche hat, die er als grenzwertig empfindet. Mir fällt im Moment gar nichts weiter ein, es ist ja künstlerisch eher ruhig im Moment...
Kitty Snicket, hattest Du ein markantes Beispiel, was Dich zu diesem Strang veranlasst hat? Wo sind denn für Dich die Grenzen?
Zitat von Puls im Beitrag #10Kitty Snicket, hattest Du ein markantes Beispiel, was Dich zu diesem Strang veranlasst hat? Wo sind denn für Dich die Grenzen?
Veranlasst: Eine Diskussion in einem anderen Strang ueber Filme und was sie zeigen 'duerfen' und was nicht. (Oder 'sollen' etc.) Sprich: Darf ein Film (gestellte) Kindesmisshandlung (ersetzbar durch anderes - Folter, sexuelle Gewalt usw.) deutlich - und eventuell in mehreren Szenen/in einem Ausmass, das einen verstoert - zeigen, wenn die Absicht ist, Menschen wachzuruetteln und fuer das Thema zu sensibilisieren?
Von nicht gestellt will ich gar nicht erst anfangen, denn da wuerde der kollektive Aufschrei zu Tinnitus fuehren. Wobei ich zumindest die Frage stellen moechte (denn ich mag es, Fragen zu stellen ;-)) Das folgende ist jetzt also kein Ausdruck meiner Meinung - nur damit hier keine Missverstaendnisse entstehen)
Was, wenn jemand also tatsaechlich jemand anders foltern wuerde, diese filmte, als Kunstwerk veroeffentlichte, alles in der lauteren Absicht, damit eine riesige Reaktion hervorzurufen, die dazu dienen soll, den Missstand Folter zu beheben? Was, wenn dieser Film tatsaechlich den Effekt hat, dass z.B. Folteropfer freikommen? Folter nie mehr, nirgends (ja, auch nicht Guantanamo, von einem Ersteweltland) verwendet wird?
Abgesehen davon, dass meine Meinung zu dem Thema lautet - der Zweck heiligt nicht die Mittel, weil man die beiden imo nicht trennen kann, was natuerlich eine weitere philosophische Debatte rechtfertigen wuerde ... ist das Ganze natuerlich recht unrealistisch und selbst wenn es in der Praxis mal so waere (dass das _sehr oft_ klappt, kann ich mir weder vorstellen noch gibt's dazu wirklich Praezedenzfaelle), koennte mich, siehe oben, das nichtmal unter Aufbietung allen Pragmatismus freuen.
Aber - und an diesem Punkt lande ich sehr oft - ich halte es fuer wichtig, diese Frage, bzw. ueberhaupt Fragen, zu stellen. Weil die Fragen womoeglich wichtiger sind als die Antworten (bitte nicht falsch verstehen, damit meine ich jetzt nicht eure, auf die ich morgen, etwas ausgeschlafener, noch eingehen werde; heute wollte ich nur ein Lebenszeichen bzw. zumindest den Ansatz eigener Gedanken als TE nachreichen)
So im Sinne von: Der Weg ist das Ziel. Und man weiss nicht unbedingt, wo's ueberhaupt hingehen sollte (gerade bei so Graubereichen). Und findet unterwegs doch viel Nuetzliches und Sinnvolles (wenn das nicht ohnehin Zweck der Uebung ist) ... Falls das jetzt nachvollziehbar ist, ich kann's morgen noch naeher ausfuehren.
Wenn ich TV als Kunstform sehe möchte, fällt mir ganz spontan die Serie Jerks ein.
Das tut mir persönlich weh beim zuschauen.
Menschenfleisch essen, Gentleman stitch, Partnertausch als spontan Aktion usw.
Puh, ich finde es ganz schwer aushaltbar.
Harald Schmidt hatte damals eine Spitze Zunge und durfte heute auch nicht mehr alles machen was er damals gebracht hat. Ihn finde ich allerdings super. Es war manchmal unangenehm und er traf da wo es weh tat. Aber auf einem ganzen anderem Level wie "Jerks" das macht.
Veranlasst: Eine Diskussion in einem anderen Strang ueber Filme und was sie zeigen 'duerfen' und was nicht. (Oder 'sollen' etc.) Sprich: Darf ein Film (gestellte) Kindesmisshandlung (ersetzbar durch anderes - Folter, sexuelle Gewalt usw.) deutlich - und eventuell in mehreren Szenen/in einem Ausmass, das einen verstoert - zeigen, wenn die Absicht ist, Menschen wachzuruetteln und fuer das Thema zu sensibilisieren?
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Was, wenn jemand also tatsaechlich jemand anders foltern wuerde, diese filmte, als Kunstwerk veroeffentlichte, alles in der lauteren Absicht, damit eine riesige Reaktion hervorzurufen, die dazu dienen soll, den Missstand Folter zu beheben? Was, wenn dieser Film tatsaechlich den Effekt hat, dass z.B. Folteropfer freikommen? Folter nie mehr, nirgends (ja, auch nicht Guantanamo, von einem Ersteweltland) verwendet wird?
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Entschieden NEIN. Diese Opfer würden noch einmal mehr zum Objekt werden. Noch mehr wäre ihre Persönlichkeitswürde unerträglich gebraucht.
Die Menschen, die man sensibilisieren kann, erreicht man auch durch wörtliche Schilderungen. Perverse erfreuen sich noch am Film.
Ich bedaure sehr die polizeilichen Ermittler zum Beispiel oder die Menschen in den Gerichtsverhandlungen, die sich solche "Aufzeichnungen" ansehen müssen.
Ich bin mal auf ein Video gestoßen worden, wo live Menschen der Kopf abgeschlagen wurde ( IS). Es verfolgt mich in manchen Situationen.
"Der Künstler eignet sich nicht als politischer Aktivist. Das ist nicht seine Aufgabe. [...] Der Künstler ist das Lackmuspapier, das den Säuregrad des Systems anzeigt. Als Fleißaufgabe kann er die eine oder andere Utopie entwerfen."
Hat mir sehr gefallen. Lustigerweise war das das zweite Mal, wo mir der Ausdruck Lackmuspapier im Zusammenhang mit Kunst/Künstler untergekommen ist.