@Distanzia Meine Erfahrung, davon zu erzählen, ist unterschiedlich. Auf der Arbeit ist es wichtig, damit Kollegen verstehen, warum ich bestimmte Sachen grundsätzlich oder tagesformbedingt nicht erledigen kann. Da aber jeder Kollege seine (nicht-gesundheitsbedingten) Einschränkungen hat (der eine kann nicht gut schreiben, der andere hat keinen Führerschein, andere ekeln sich vor Erbrochenem...), übernehme ich dann andere Aufgaben.
Im Bekanntenkreis (also keine engen Freunde) war es schwieriger, Einschränkungen zu kommunizieren (weshalb ich mittlerweile einen relativ harten Cut bezüglich oberflächlicher Bekanntschaft gemacht habe). Es kommen gut gemeinte Tipps oder es wird einfach darüber hinweg gesehen. Das kann natürlich auch positiv gewertet werden: ich werde immer wieder gefragt, ob ich etwas unternehmen oder essen gehen will, damit ich mich nicht ausgeschlossen fühle. Negativer gesehen: haben die mir nicht zugehört, dass ich das nicht kann?
Bei engen Freunden ist es weniger ein Problem, deshalb sind es ja engere Freunde. Gemeinsame Themen und Interessen abseits meiner Erkrankung gibt es zum Glück genug. Und hier herrscht Konsens darüber, dass ich ohne Tamtam (keine große Bewirtung, sondern zwangloses Abhängen und Teetrinken) besucht werden kann (mit der Option, dass ich mich aufs Bett legen muss oder länger aufs Klo verschwinde) oder telefonisch besser funktioniere als live.
Sicher spielt auch eine Rolle, welche Art von Erkrankung man hat. Eine Zeit lang traf ich mich mit einer Gruppe von Frauen (uns verband ein gemeinsames Interesse, hatte nichts mit Erkrankungen zu tun). Viele davon waren in meinem Alter und zufällig schon früher berentet. Da diese viel Zeit hatten, wurde ich oft nach Unternehmungen und Cafébesuchen gefragt. Eine fragte mich sogar, ob ich mit ihr übers Wochenende verreisen wolle. Alles Dinge, die ich aufgrund meiner Erkrankung nicht machen kann. Ich musste immer wieder ablehnen, erklären, wiederholt ablehnen ....bis ich die einzelnen Kontakte abbrach und nicht mehr an den Gruppentreffen teilnahm.
Das unangenehme war halt auch, dass ich mit meinen Unzulänglichkeiten ständig konfrontiert wurde. Sonst (mit mir alleine oder engen Vertrauten) fällt es mir weniger auf, dass ich vieles nicht machen kann oder irgendwie anders lebe.
Ich bin mittlerweile viel vorsichtiger mit dem Leute-kennen-lernen geworden, obwohl man mit mir schnell ins Gespräch kommt und ich neue Menschen oft wahnsinnig interessant finde. Weil ich weiß, was daraus folgt und ich das nicht leisten kann, muss ich mich da bremsen.
Wenn Menschen "speziell" sind, so wie wir, ist es wahrscheinlich gut und wichtig, engere Vertraute zu haben. Bei dir ist es dein Mann, der dich versteht. Bekanntschaften funktionieren oft nicht so gut - obwohl das sicher auch nicht auf alle chronisch Erkrankten zutrifft.
Dass Bekannte sich nicht nach den Einschränkungen richten wollen, kenne ich auch. Ich war auch bereit, mich auf andere einzustellen, soweit es mir möglich war, denn so oft waren die Treffen nicht. Leider hat es nicht funktioniert. Ich weiß nicht, ob es ein Unterschied ist, ob andere dann auf Abstand gehen oder ob man selbst die Entscheidung trifft.
Zitat von Hydra im Beitrag #751 Das unangenehme war halt auch, dass ich mit meinen Unzulänglichkeiten ständig konfrontiert wurde. Sonst (mit mir alleine oder engen Vertrauten) fällt es mir weniger auf, dass ich vieles nicht machen kann oder irgendwie anders lebe.
Ja, das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Da ich nicht berufstätig bin und auch kaum ein soziales Umfeld habe, lebe ich zurückgezogen. In meiner Welt fallen mir die Einschränkungen nicht so auf und ich komme damit einigermaßen klar. Aber wenn ich Kontakt zu anderen habe oder mitkriege, wie ehemalige Freunde ihr Leben leben (Beruf, Kinder, Unternehmungen, Urlaube), dann tut es mir schon mal weh, dass ich vieles davon nicht machen kann.
Die Coronazeit war deshalb für mich eine neue Erfahrung. Plötzlich lebte jeder mein Leben: zurückgezogen, kaum Unternehmungen, Beschäftigungen zu Hause. Ich hatte plötzlich nicht mehr das Gefühl etwas zu verpassen und oder dass alle anderen ein pralles Leben haben (das natürlich auch nicht immer schön ist, schon klar). Ich war dann sehr erstaunt, als ich zunehmend davon las, dass dieses Leben im Lockdown eine Zumutung sei und die Menschen davon Schaden nähmen. Komischerweise sehen das Krankenkassen bei ihren Entscheidungen bei chronisch Kranken oft ganz anders, da ist vieles zumutbar. Die Menschen haben die Erfahrung der Lockdowns schnell vergessen, ich habe nicht das Gefühl, dass mehr auf Integration geachtet wird. Die Menschen sind froh, dass diese Zeit vorbei ist und ihnen ist wohl nicht klar, dass es genug Leute gibt, die ihr Leben lang unter diesen Bedingungen leben und sie deshalb auf aktive Integration angewiesen sind.
Zitat von Hydra im Beitrag #751 Wenn Menschen "speziell" sind, so wie wir, ist es wahrscheinlich gut und wichtig, engere Vertraute zu haben. Bei dir ist es dein Mann, der dich versteht. Bekanntschaften funktionieren oft nicht so gut - obwohl das sicher auch nicht auf alle chronisch Erkrankten zutrifft.
Ja, ich bin froh, dass ich meinen Mann habe. Ich merke aber auch, dass ein Vertrauter zu wenig ist. Wenn dieser Vertraute ausfällt, wird es kritisch.
Zitat von Distanzia im Beitrag #752In meiner Welt fallen mir die Einschränkungen nicht so auf und ich komme damit einigermaßen klar. Aber wenn ich Kontakt zu anderen habe oder mitkriege, wie ehemalige Freunde ihr Leben leben (Beruf, Kinder, Unternehmungen, Urlaube), dann tut es mir schon mal weh, dass ich vieles davon nicht machen kann.
Ganz genau. Zum Glück kenne ich Menschen, die auch nicht so "mainstream" leben. Jeder hat doch so seine Macke oder irgendeinen Schicksalsschlag erlebt. Das perfekte Leben gibt es fast nie. Und wenn das einer führen sollte, ist es ohnehin nur vorübergehend, denn sterben müssen wir alle.
Zitat von Distanzia im Beitrag #752Ich war dann sehr erstaunt, als ich zunehmend davon las, dass dieses Leben im Lockdown eine Zumutung sei und die Menschen davon Schaden nähmen. Komischerweise sehen das Krankenkassen bei ihren Entscheidungen bei chronisch Kranken oft ganz anders, da ist vieles zumutbar. Die Menschen haben die Erfahrung der Lockdowns schnell vergessen, ich habe nicht das Gefühl, dass mehr auf Integration geachtet wird. Die Menschen sind froh, dass diese Zeit vorbei ist und ihnen ist wohl nicht klar, dass es genug Leute gibt, die ihr Leben lang unter diesen Bedingungen leben und sie deshalb auf aktive Integration angewiesen sind.
Das hast du sehr gut beschrieben. Im Lockdown haben tatsächlich alle so gelebt wie ich immer. Nur leider durfte ich kein Homeoffice machen, sondern musste mich weiter zur Arbeit schleppen. Für mich war die Zeit kein Unterschied zu sonst.
Krankenkassen, Behörden und chronische Erkrankung....das läuft leider nicht immer optimal. Die können oft die Einzelschicksale nicht berücksichtigen und schnell fällt da so manch einer durch die Maschen.
@Distanzia, was würde dir helfen um mehr am Leben teilzunehmen? Du schriebst ja Bekannte und auch Krankenkassen würden da keine Rücksicht darauf nehmen. Was genau bräuchtest du um zum Beispiel mal abends in Theater zu gehen oder in einen Biergarten?
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Letti, das ist nett, dass du fragst. Biergarten geht schon mal, wenn es mir gut geht, aber ohne Musik. Theater ist da schon kritischer, Kino auch. Meist ist das zu laut. Zuviel Reize und zuviel Menschen auf einmal.
Ich hatte zu Beginn des Threads auch schon mal beschrieben, dass ich versucht habe an Hobbygruppen teilzunehmen. Das ist aber daran gescheitert, dass diese Gruppen abgesehen von den wöchentlichen Treffen oft von Einsatz und Engagement leben, das ich nicht leisten kann. Regelmäßige Teilnahme, Probenwochenenden oder zusätzliche Arbeiten. Monetärer Ersatz wurde leider nicht akzeptiert. Oder es wurde Hintergrundmusik gespielt, die mir zu viel war (Handarbeitstreffen). In der Natur geht es mir gut. Wandergruppen laufen aber zu weite Strecken und beim Gartenbauverein wurde Mithilfe erwartet.
Ich komme mit meinem Mann schon mal raus. Aber ich wünsche mir manchmal mehr private Sozialkontakte. Dass das nicht gut funktioniert, liegt an mir. Ich kann mich nicht regelmäßig treffen, um Freundschaften zu pflegen. Oft ist telefonieren schon zu viel. Ich kann Treffen auch nicht gut planen. Wenn ich dann mal einen guten Tag habe und Lust habe andere zu treffen, kann ich nicht erwarten, dass gerade dann jemand Zeit hat. Gerade, weil ich die Kontakte nicht richtig pflegen kann, fehlen dann die Leute, die ich fragen könnte, ob sie Lust auf einen Spaziergang oder Tee haben. Wie gesagt, ich bin auch dünnhäutig und habe nicht viel Kapazitäten die Macken anderer zu tolerieren. Bei privaten Kontakten liegt vor allem an mir, ich möchte da nicht mit dem Finger auf andere zeigen.
Beispiele zu den Krankenkassen, Rehas und Krankenhäuser: Wenn man z. B. bewegungseingeschränkt ist, zahlt die Krankenkasse oft nur das Basismodell. Der elektrische, individuell angepasst Rollstuhl, der einen Selbstständigkeit geben würde, ist teuer und wird nicht bezahlt. Auch andere Hilfsmittel, die mehr Selbstständigkeit und Teilhabe ermöglichen würden, werden oft nicht übernommen.
An Rehas oder Krankenhausaufenthalten kann man nur teilnehmen, wenn man in den dortigen Tagesablauf passt. Wenn man zusätzliche Pflege braucht (auch wenn man sie mitbringt), ist ein Aufenthalt nicht möglich. Es reicht schon, wenn man nicht im Speisesaal essen kann, sondern sein Essen draußen, im Zimmer oder sonst wo in Ruhe einnehmen möchte. Das wird nicht akzepiert, es stört die Abläufe. Überhaupt Essen: Auch wenn immer betont wird, dass frisch gekocht wird, ist das in solchen Großküchen nicht durchgängig möglich. Es werden immer irgendwelche Fertigprodukte eingesetzt. Wenn man diese nicht verträgt, kann man nicht einfach auf das Essen verzichten und sich selbst verpflegen, das ist abrechnungstechnisch nicht möglich.
@Distanzia, danke für deine Antwort. Das ist wirklich nicht leicht und ich kann dein Dilemma sehr gut nachvollziehen. Ich glaube gerade die Geräuschempfindlichkeit macht es besonders schwer. Hast du mal probiert ob es mit angepassten Ohrstöpseln geht? Ich selbst mag laute Restaurants auch nicht, da es die Unterhaltung stört. Für dich wären wahrscheinlich offene Treffs gut geeignet da kann man kommen ohne Verpflichtungen- hier in meiner Region gibt es davon viele zu unterschiedlichen Themen.
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Ich lebe nun auch schon seit über 3 Jahren sehr zurückgezogen. Meine Sozialkontakte beschränken sich im Großen und Ganzen auf meinen Freund und unsere beiden Familien, eine Freundin, die aber leider weit weg lebt und deshalb nur telefonisch oder über WhatsApp kontaktiert wird, und diverse Onlinegruppen von Betroffenen.
Dann gibt es noch den Buchclub, der sich monatlich trifft, dort bin ich seit letztem Jahr Mitglied. Leider schaffe ich es auch da öfter nicht hin, das wird aber zum Glück auch akzeptiert.
Was Kontakte darüber hinaus angeht, da fehlen mir ehrlich gesagt die Kapazitäten. Ich bin froh, wenn ich überhaupt das Haus verlassen kann für Arzttermine, Einkaufen oder mal kurz spazieren gehen. Kino oder anderes mache ich schon gar nicht mehr. Zu viel Reizüberflutung.
Und es fühlt sich seltsam an, dass gefühlt alle so ein anderes Leben leben als ich. Ich will es nicht Scham nennen, weil ich mich für meine Einschränkungen nicht schämen muss, aber...es fühlt sich halt komisch an.
Ich habe eine Bekannte, zu der der Kontakt leider eingeschlafen ist. Ich würde ihn eigentlich wirklich gerne wieder aufleben lassen, aber ich habe halt irgendwie Angst, dass ich es nicht schaffe, diesen Kontakt wirklich pflegen zu können.
Bei mir ist der Rückzug Schutz. Ich betrachte Rückzug nicht als negativ, sondern als notwendig und hilfreich. Er tut gut. Und diesen Rückzug empfinde ich einfach auch deshalb als notwendig, weil "die Gesellschaft" ist, wie sie leider ist: ganz oft vorurteilsbeladen, unwissend und verurteilend.
Schade ist, dass man manchmal auch einsam ist, wenn man eben nicht allein sein will, aber keine Möglichkeiten hat, es zu ändern - wegen den eigenen Einschränkungen und den Dingen, wie sie eben in unserer Gesellschaft sind. Darüber traurig und enttäuscht zu sein, lasse ich zu. Dann geht es danach meist wieder besser.
Schön ist, auch online lässt sich der ein oder andere selbst Betroffene finden, mit dem sich dann eine gute Bekanntschaft entwickelt. Ist zwar nicht dasselbe wie eine Freundschaft vor Ort, bereichert aber das Leben, finde ich. Dafür bin ich dankbar.